Präsentationsfahrt iLint-VT 654 102

In www.LVZ.de veröffentlichte Simone Prenzel folgenden Artikel:

Blau lackierte Abteile des Wasserstoffzugs zeigen chemischen Symbole

Schon der äußere Look stimmt die Passagiere ein: Die blau lackierten Abteile sind mit den chemischen Symbolen für Wasserstoff und Sauerstoff – den Buchstaben H und O – überzogen. Das Periodensystem der Elemente lässt grüßen.
Leise setzt sich der Zug pünktlich 10.36 Uhr in Bewegung.Fachsimpeleien drehen sich um den Hauptakteur der modernen Antriebstechnologie – den Wasserstoff. War da nicht was? Ist das nicht gefährlich? Manchem spukt das Unglück mit der „Hinderburg“ im Kopf herum.

Auch das Knallgasexperiment im Chemieunterricht hat der ein oder andere noch in unguter Erinnerung. „Keine Sorge, unsere Technik ist sicher“, beruhigt Jörg Nikutta, Geschäftsführer von Alstom, die Fahrgäste. „Ich wünsche Ihnen heute eine gute und vor allem emissionsfreie Fahrt“, schlüpft der Deutschland-Chef des Konzerns in die Rolle des Zugbegleiters.

Erster Regionalzug, der Strom aus Wasserstoff erzeugt
Zuerst hatte die Chefetage die ersten Vorschläge von Alstom-Ingenieuren noch als Hirngespinst abgetan, doch inzwischen heimst der I-Lint Lorbeeren ein. Er gilt als technologische Sensation, gelang es doch noch keinem anderen Hersteller, einen Regionalzug zu entwickeln, der Strom aus Wasserstoff erzeugt.
Dieser verbirgt sich unscheinbar in dicken Tanks auf dem Dach – über den Köpfen der Reisenden. Der Sauerstoff wird aus der guten Muldentaler Luft angesaugt. Emissionsfrei bedeutet in dem Fall, dass weder Dieselruß, Stickoxide noch Feinstaub die Luft verpesten. Am Ende bläst der Zug nur Wasserdampf in die Atmosphäre. Außerdem entsteht Kondenswasser.
Akkumulatoren sitzen zwischen den Rädern, so dass auch die Bewegungsenergie beim Bremsvorgang zurückgewonnen wird. Die Hochleistungsbatterien sorgen beim Anfahren des Zuges für genügend Power, speisen zum Beispiel auch Klimaanlage und Türen.

Mitteldeutschland ist ideal für Wasserstoffzüge

Der Zug rollt an Borsdorf vorbei, während Jens Sprotte, Leiter des Geschäftsbereichs Stadtverkehr, auf die Vorteile der Technik zu sprechen kommt. „Mitteldeutschland ist ideal für den Einsatz solcher Wasserstoffzüge“, erklärt der Alstom-Mann. Hier könne die Verfügbarkeit des besonderen Kraftstoffs garantiert werden. Derzeit ist für den Vormarsch der Züge vor allem die fehlende Infrastruktur noch das Hauptproblem. Einfach mal so an die Tankstelle fahren, ist schwierig, wenn man auf Schienen unterwegs ist.
In Bremervörde, wo zwei Alstom-Züge schon nach Fahrplan rollen, stehen Stahltanks am Bahnsteig. Auch der Zug, der am Freitag gen Mulde rollt, wurde an einer mobilen Zapfstelle aufgetankt. Die Vision sei, grünen Wasserstoff aus regenerativen Energiequellen zu gewinnen. „Derzeit fahren wir aber noch mit grauem Wasserstoff, der in der Industrie ohnehin anfällt.“

Hintergrund Wasserstoffzug
Alstom ist weltweit der erste Hersteller von Schienenfahrzeugen, der einen von einer Brennstoffzelle angetriebenen Nahverkehrszug gebaut hat. In Niedersachsen sind zwei dieser Züge bereits in Betrieb, weitere sollen in Kürze folgen. Auch in Hessen, Nordrhein-Westfalen sowie in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gibt es diesbezügliche Vorhaben. Weitere Schienenhersteller entwickeln mittlerweile eigene Züge auf Wasserstoffbasis, wie zum Beispiel Siemens mit dem Mireo.
Wasserstoff bietet das Potenzial, den Diesel als Antriebstechnologie im Schienenverkehr abzulösen – das ist gut für das Klima und dient auch der regionalen Wirtschaftskraft, wenn wie im mitteldeutschen Industrierevier Wasserstoff als Abfallprodukt chemischer Prozesse entsteht und eine Leitungsinfrastruktur zum Transport des Wasserstoffs zumindest in Ansätzen vorhanden ist.
Allerdings verursacht die neue Fahrzeugtechnologie höhere Kosten, da eine Serienproduktion bislang wirtschaftlich noch nicht rentabel ist. Insofern bedarf es einer öffentlichen Förderung, der Bund, aber auch der Freistaat Sachsen haben bereits entsprechende Förderprogramme aufgelegt.
In naher Zukunft werden sich die zuständigen Gremien des ZVNL mit der Grundsatzfrage befassen, welche Antriebstechnologie für die zukünftige Anbindung zum Beispiel des Muldentals an das Mitteldeutsche S-Bahn-Netz am besten geeignet ist. Erst im Anschluss daran ist über den Zeitpunkt der Einführung und die betriebliche Ausgestaltung des alternativen Schienenantriebs zu entscheiden. Ein Termin steht aber jetzt schon fest: Spätestens zum Fahrplanwechsel 2025 wird es eine Lösung geben müssen, da dann das Mitteldeutsche S-Bahn-Netz zur Wiedervergabe ansteht.

Woher würde der Wasserstoff rund um Grimma kommen? Oberbürgermeister Matthias Berger sieht gar kein Problem darin, dass eines Tages Züge an der Mulde Wasserstoff tanken können. „Das wird sich klären“, strotzt er vor Zuversicht und lässt sich auf den blauen Sitzbezügen nieder. Auch die sind ein Statement – mit aufgedruckten Molekülen H für Wasserstoff und 0 für Sauerstoff.

Wasserstoffzug ist viel leiser als Dieselloks

Zwischen Leipzig und Grimma macht der Zug zu seiner sächsischen Jungfernfahrt zumindest bis zur Zielankunft eine gute Figur: Viel leiser als die üblichen Dieselloks rollt er über die Gleise. Maximal das Rauschen der Lüfter wird von den Fahrgästen mit mehr oder weniger technologischem Sachverstand kommentiert.
Am Fenster ziehen bereits die Häuser von Naunhof vorbei, während Alstom-Chef Nikutta noch entscheidende Details zu Protokoll gibt: „Der Coradia befördert 150 Fahrgäste, erreicht eine Spitzengeschwindigkeit von 140 Stundenkilometern und das bei einer Reichweite von rund 1000 Kilometern.“
Nach einer halben Stunde ist die Strecke nach Grimma geschafft. Erwartet von einem Spalier an Zug-Enthusiasten fährt der Blaue in den Bahnhof ein. Für Berger steht fest: „Die heutige Fahrt kann natürlich nur der Anfang sein. Technologisch ist damit aber der Beweis erbracht, dass Grimma ans S-Bahn-Netz angebunden werden kann.
Wenn es nach uns geht, sollten die alten Dieselloks, die bislang eine Durchfahrt durch den City-Tunnel verhindern, jetzt so schnell wie möglich ins Depot geschickt werden.“ Allerdings laufen die gültigen Verträge bekanntlich noch bis 2025.

Von Simone Prenzel

Fotos: Monika und Rolf Langhof